Gutartiger Lagerungsschwindel
Gutartiger Lagerungsschwindel
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Was ist ein gutartiger Lagerungsschwindel?
Definition
Beim gutartigen Lagerungsschwindel (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, BPLS) handelt es sich um kurze Schwindelattacken von etwa 20 Sekunden, die durch bestimmte Bewegungen des Kopfes ausgelöst werden: durch Hinlegen, Aufrichten, Umdrehen im Bett, Bücken oder durch den Kopf-in-den-Nacken-Legen.
Symptome
Es tritt ein starker, anfallartiger Drehschwindel auf (wie beim Karussellfahren). Oft kommt es auch zu einem ungewollten Zittern der Augen (Nystagmus) und einer Wahrnehmungsstörung, bei der Betroffene ihre Umgebung als schwankend oder verwackelt wahrnehmen. Die Anfälle können auch von Übelkeit und Erbrechen sowie einem beschleunigten Herzschlag und Schwitzen begleitet sein. Der Lagerungsschwindel kann wöchentlich oder sogar täglich auftreten. Insbesondere bei älteren Menschen erhöht sich dadurch das Sturzrisiko.
Ursachen
In 90 % der Fälle lässt sich keine eindeutige Ursache feststellen.
Häufigste nachgewiesene Ursachen sind eine Schädel-Hirn-Verletzung, eine Entzündung des Gleichgewichtsnervs oder eine lange Bettlägerigkeit. Auch gibt es einen Zusammenhang mit einer Erkrankung des Innenohrs (Morbus Menière) und Migräne des Hör- und Gleichgewichtsnerves.
Fachleute nehmen an, dass sich ein gutartiger Lagerungsschwindel in den meisten Fällen dadurch entwickelt, dass sich sog. Ohrsteinchen (Otolithen) von ihrer normalen Position im Innenohr lösen. Die winzigen Kristalle gelangen dann in die Bogengänge des Innenohrs, wo sie sich bei Kopfbewegungen frei bewegen. Dies führt zu einer Reizung von Rezeptoren, was dem Gehirn widersprüchliche Informationen über die Körperposition und -bewegung sendet. Das führt zu einem Gefühl von Schwindel.
Häufigkeit
- Der gutartige Lagerungsschwindel ist die häufigste Schwindelform überhaupt. Er tritt bei etwa 20 % aller Patient*innen auf, die zeitweise unter Schwindel leiden.
- Er ist die häufigste Krankheit des Gleichgewichtsorgans im Innenohr, das für die Wahrnehmung von Bewegungen und die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts verantwortlich ist.
- Konkrete Fallzahlen gibt es nur wenige, Fachleute gehen von 60 Betroffenen auf 10.000 Personen pro Jahr aus.
- Grundsätzlich kann der gutartige Lagerungsschwindel in jedem Lebensalter auftreten, jedoch nimmt er im höheren Alter zu: Bei Menschen über 60 Jahre tritt er 7-mal häufiger auf als bei Menschen unter 40 Jahren.
- Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
- Die Diagnose gutartiger Lagerungsschwindel kann in den meisten Fällen erst nach einem Lagerungstest gestellt werden, da manche Patient*innen im Gespräch über nicht sehr eindeutige Symptome berichten. Ein erster Verdacht ergibt sich, wenn der Schwindel häufig in den frühen Morgenstunden auftritt, durch Umdrehen oder Hinlegen im Bett, er weniger als eine Minute andauert und das Hören nicht beeinträchtigt ist.
- Durch einen Lagerungstest wird dann versucht, das Schwindelgefühl gewollt auszulösen. Dabei sitzt die Patient*in mit zur Seite gedrehtem Kopf auf einer Liege, legt sich rasch hin, wobei der Kopf überstreckt wird. Dann wird der Test mit zur anderen Seite gedrehtem Kopf wiederholt. Die Ärztin oder der Arzt beobachtet, ob es zu den für die Erkrankung typischen unwillkürlichen Augenbewegungen und zu Schwindel kommt. In 80 % der Fälle erkennt diese Untersuchung die Erkrankung.
- Bei einem anderen Test wird der Kopf in Rückenlage von der Patient*in leicht angehoben und dann erst in die eine, dann in die andere Richtung gedreht und jeweils für eine Minute festgehalten. Das kann ebenfalls Aufschluss über die typischen Augenbewegungen und Schwindelsymptome geben.
- Seit einiger Zeit gibt es auch Apps, die zur Diagnose und Behandlung von gutartigem Lagerungsschwindel eingesetzt werden. Damit lassen sich etwa Symptome erfassen oder auch die Augenbewegungen während eine Lagerungstests aufzeichnen.
- Ergeben sich durch die Schilderung der Symptome und die Untersuchung keine Hinweise auf eine andere zugrunde liegende Erkrankung, sind keine weiteren Untersuchungen notwendig.
Behandlung
Ziel der Behandlung ist es, dass sich die Ohrsteinchen durch bestimmte Lagerungsmanöver aus dem Bogengang des Innenohrs wegbewegen, sodass die Nerven nicht mehr gereizt werden und infolgedessen keine Schwindelanfälle mehr auftreten. Es hat sich gezeigt, dass von Therapeut*innen angeleitete Lagerungsmanöver wirksamer sind als Selbstmanöver durch die Betroffenen. Diese können aber nach gründlicher Anleitung ergänzend daheim angewendet werden.
Therapeut*innen können verschiedene Lagerungsmanöver einsetzen, wobei neuere Studien gezeigt haben, dass das sog. Semont-Plus-Manöver zu einer vergleichsweise schnellen Beschwerdefreiheit führt: Dabei sitzt die Patient*in, dreht den Kopf in Richtung des gesunden Ohrs und legt sich dann auf die Seite des kranken Ohrs. In der Seitenlage wird der Kopf zusätzlich nach unten geführt.
Lagerungsmanöver sind bei jungen und älteren Patient*innen gleichermaßen wirksam, aber die Rückfallrate ist bei älteren Patient*innen höher. Nebenwirkungen wie Übelkeit und zeitweise Gangunsicherheit über Stunden bis wenige Tage können bei allen Manövern auftreten.
Eine Halskrause, die die Kopfbewegung einschränkt, hat möglicherweise einen sehr kleinen positiven Zusatzeffekt.
Medikamente haben keine Auswirkung auf den Krankheitsprozess und werden daher nicht empfohlen. In Einzelfällen können aber Antihistaminika vor einem Lagerungsmanöver gegen die Übelkeit gegeben werden. Insbesondere bei älteren Patient*innen führt dies jedoch oft zu starker Schläfrigkeit.
Abbildungen
Autor
- Claus Peter Simon, Wissenschaftsjournalist, Hamburg
Quellen
Literatur
Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Lagerungsschwindel, benigner paroxysmaler. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.
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